Interview
Was will die Deutsche Welle?
03. November 2008 Die Autorin Qinglian He hat mit ihrem Buch „China in der Modernisierungsfalle“ ein Standardwerk vorgelegt. 2005 schrieb die Dissidentin für die Deutsche Welle. Schnell war dies unerwünscht. Nun bat man die Kolumnistin zurück, aber sie lehnte ab.
Stimmen Sie mit der These überein, China öffne sich der Pressefreiheit?
Ganz und gar nicht. China bewegt sich genau in die entgegengesetzte Richtung, das heißt: mehr Zensur und mehr und mehr Lügen in den offiziellen Medien. Ich berichte darüber in meinem Buch.
Ist es wahr, dass das chinesische Volk keine Meinungsfreiheit anstrebt, sondern Wohlstand?
Das propagiert die Kommunistische Partei. Es entspricht nicht der Wahrheit.
Was halten Sie von der Einlassung, die KP Chinas habe mehr als alle politischen Bewegungen der Welt für die Verwirklichung des Artikels 3 der Menschenrechte getan, indem sie vierhundert Millionen Menschen aus der Armut führte?
Zum Thema
Erst einmal ist die Frage, wie viele Menschen in Armut sind, kein Thema, das in China frei diskutiert werden kann. Darüber hinaus verschleiert das Regime den Umstand, dass die Mehrheit der Chinesen in Armut, wenn nicht Hunger, abgedrängt wurde, seit die Partei die Macht in China übernahm. Und schließlich: Hat sich der Lebensstandard nicht fast überall auf der Welt im Vergleich zur Situation vor dreißig oder vierzig Jahren verbessert? Warum sollte nur die chinesische KP dafür gepriesen werden? Und warum sollte ihr deshalb der Tod von mehr als dreißig Millionen Menschen zwischen 1959 und 1961 verziehen werden?
Können Sie uns einen Eindruck vermitteln, wie chinesische Propaganda ausländische Medien manipuliert?
Viele chinesischsprachige Zeitungen in westlichen Ländern befinden sich entweder im Besitz der chinesischen Regierung oder werden von ihr kontrolliert. Sie sind Teil der Propagandamaschinerie des Regimes in Übersee. Ausnahmen sind Zeitungen von Falungong und einige kleinere Publikationen in Deutschland. Das Regime versucht zudem mit zwei Methoden, ausländische Korrespondenten zu kontrollieren. Zum einen sind ihre Recherchen und Interviews nur unter Aufsicht möglich. Zweitens wird die Visa-Kontrolle benutzt, die Ansichten ausländischer Reporter zu beeinflussen. Sie müssen überaus vorsichtig und selbstdiszipliniert sein, wenn sie wünschen, dass ihre Visa erneuert werden. Das gilt übrigens für Wissenschaftler aus westlichen Ländern.
Sie waren Kolumnistin der Deutschen Welle, brachen diese Tätigkeit aber ab. Warum? Jetzt wurden Sie gebeten, wieder als Kolumnistin tätig zu werden.
Ich wurde im März 2005 vom chinesischen Programm der Deutschen Welle gebeten, Kommentare zu schreiben. Im September 2005 bekam ich eine Nachricht von Danhong Zhang, der stellvertretenden Leiterin des Programms. Sie bat mich, das Schreiben von Kommentaren zu beenden. Stattdessen wollte sie, dass ich Nachrichtenbeiträge über China schreibe. Das Anliegen war unangemessen. Ich lebe in den Vereinigten Staaten und arbeite als Wissenschaftlerin und Kommentatorin, nicht als Reporterin. Es gibt keinen Grund, mich um Nachrichtenbeiträge über China aus Amerika zu bitten. Ich habe dies so verstanden, dass man die Vereinbarung mit mir beenden, den Entschluss aber nicht offen mitteilen wollte. Ich habe danach aufgehört, für die Deutsche Welle zu schreiben.
Später habe ich aus Quellen in Peking erfahren, ein Abteilungsleiter des Propagandaministeriums habe einen Vertreter der Deutschen Welle bei dessen Besuch in Peking darum gebeten, meine Tätigkeit zu beenden. Nachdem das Problem des China-Programms ein so großes Thema in deutschen Medien und auf Websites überall auf der Welt geworden war, bekam ich vor einer Woche eine Nachricht des Leiters des chinesischen Programms, der mich bat, wieder zu kommentieren. Ich denke aber, es ist momentan kein guter Zeitpunkt, für die Deutsche Welle zu schreiben. Der Einfluss der chinesischem Regierung bleibt, und die Position der Deutschen Welle dazu ist nicht geklärt.
Propagiert das chinesische Programm der Deutschen Welle Demokratie und Menschenrechte?
Ich kann die Radiosendungen der Deutschen Welle nicht hören. Deshalb kann ich sie nicht beurteilen. Aber ich lese die Webseite des chinesischen Programms. Und ich muss feststellen, dass die Haltung seiner Redakteure eigentlich nicht den Grundsätzen des Journalismus in demokratischen Gesellschaften entspricht. Ganz im Gegenteil haben die Redakteure eine klare Tendenz in Richtung ProRegime. Wenn jemand die Website aus neutraler Sicht bewertet, kommt er unschwer zu diesem Schluss. Sobald ein Gegenstand die sensiblen politischen Bereiche berührt, tendieren die chinesischen Internetseiten der Deutschen Welle dazu, das Regime zu verteidigen, ausgleichende Texte oder Meinungsstücke fehlen. Hinzu kommt, dass die Redakteure selten nach Fehlern der chinesischen Regierung fragen. Gelegentlich übernehmen sie sogar offizielle chinesische Propaganda als erwiesene Geschichten.
Dissidenten haben geäußert, dass die deutschen Sinologen, die sich in die Debatte um die Deutsche Welle einschalten, in einem Interessenkonflikt stünden, da sie bei ihrer Arbeit auf gute Beziehungen zu chinesischen Offiziellen angewiesen seien? Stimmt das? Wo finden wir dann unabhängige Experten?
Wie ich schon sagte, ist die Unabhängigkeit der wissenschaftlichen Arbeit zu China ständigen Anfechtungen ausgesetzt, da die Pekinger Regierung mit allen Mitteln versucht, Meinungen und Forschungsfelder westlicher Wissenschaftler zu beeinflussen. Unglücklicherweise sind nur wenige bereit, auf akademischer Unabhängigkeit zu bestehen. Das ist ein weltweites Problem. Tatsächlich weiß innerhalb dieses akademischen Zirkels jeder ganz genau, wer sich traut, die Wahrheit zu sagen oder die wichtigen, aber sensiblen Gegenstände zu erforschen. Das Problem ist, das die Menschen außerhalb dieses Zirkels den Unterschied nicht identifizieren können, und jene innerhalb des Zirkels es ablehnen, die Wahrheit zu sagen.
Was sind die wesentlichen Kritikpunkte der Dissidenten an der Deutschen Welle?
Ich würde sagen, das Hauptargument ist, dass Medien, die von der Regierung bezahlt werden, eine ausgewogene Haltung und keine parteiische einnehmen sollten, wenn sie über Themen aus einem antidemokratischen Land berichten. Es geht nicht nur um journalistische Prinzipien. Es verweist auch auf die Werte, auf die Steuerzahler und Wähler bestehen. (siehe auch Artikel: Deutsche Welle: Es geht ums Ganze)
Das Gespräch führte Sabine Pamperrien.
Text: F.A.Z.
http://www.faz.net/s/Rub475F682E3FC24868A8A5276D4FB916D7/Doc~E7404898DA0244C179B3C9D4A99679